Bislang gilt eine Bundesliga-Mannschaft nach mehreren Siegen hintereinander als besonders stark und nahezu unschlagbar. "Unsinn", sagt Andreas Heuer. "Eine Mannschaft, die viermal gesiegt hat, spielt danach schlechter als sie es eigentlich kann." Um das sagen zu können, hat er 12.000 Spiele seit 1965 analysiert.
In Deutschland sind Physiker dabei, eine alte Fußballweisheit zu widerlegen. Galt bisher eine Bundesliga-Mannschaft nach mehreren Siegen hintereinander als besonders stark und nahezu unschlagbar, kam Physiker Andreas Heuer bei seinen Berechnungen zu einem überraschenden Ergebnis. „Eine Mannschaft, die viermal gesiegt hat, spielt nach dieser Serie schlechter als es ihrer eigentlichen Leistung entspricht“, sagt er. Beim nächsten Auswärtsspiel sei die Gewinnwahrscheinlichkeit sogar um ein Viertel geringer. Seine Erkenntnisse will Heuer auf dem größten europäischen Physikerkongress dieses Jahres in Berlin präsentieren. Dort treffen sich 5000 Fachkollegen, um über Nanophysik, Quantencomputer oder sozioökonomische Phänomene zu reden.
Zu seiner Analyse im jungen Fachbereich „Sociophysics“ ist Heuer an der Universität Münster nicht zufällig gekommen. Privat ist er Fußballfan, vor allem von Borussia Dortmund. Für seine physikalische Fußballstudie hat er sich die 12.000 Spiele der Bundesliga seit 1965 vorgenommen. Mit selbstgeschriebener Software entwickelte er verschiedene Auswerte-Routinen für diesen großen Datensatz. „Ich habe zum Beispiel die Mannschaften genauer untersucht, die viermal hintereinander gewonnen oder verloren haben“, berichtet er. Dabei habe er ohne Modellannahmen gerechnet, wie sie in früheren Untersuchungen von Wirtschaftswissenschaftlern zu diesem Thema verwendet wurden.
Übermut oder Motivation?
Dass die Verlierer nach einer Negativ-Serie von vier Spielen rund acht Spieltage brauchten, um sich von der Niederlage zu erholen, wunderte den Physiker nicht. „Erstaunlich war aber, dass vier Siege eine Mannschaft auch nicht weitergebracht haben“, erläuterte er. Ob das nun aus Übermut geschieht oder eine gegnerische Mannschaft nach einer solchen Serie besonders motiviert ist, kann der Physiker allerdings nicht sagen. „Das ist eher Psychologie“, ergänzte er. Heuer kam auch zu dem Ergebnis, dass die Fitness einer Mannschaft eine „Halbwertszeit“ von rund vier Jahren hat. „Auch beim teuren Einkauf neuer Spieler lässt sich ein Team nicht innerhalb einer Saison neu aufbauen“, berichtete er. Nicht nur als Fußballfan, sondern auch als Physiker kann Heuer deshalb nicht dazu raten, zu oft den Trainer zu feuern. „Das bringt wenig. Ein Masterplan wirkt sich eben auch erst vollständig nach einigen Jahren aus.“ Auch für die Existenz besonders heim- oder auswärtsstarker Mannschaften fand er, entgegen der landläufigen Meinung, keine statistische Untermauerung.
Mannschaftsgröße ist perfekt
Physiker haben sich schon früher für Fußball interessiert und zum Beispiel errechnet, dass ein Ball beim Einwurf am besten in einem 30-Grad-Winkel fliegt. „Das hat etwas mit Biomechanik zu tun“, erläuterte Heuer. Dass zehn Fußballer und ein Torwart die besten Voraussetzungen für ein gutes Spiel sind, hat sich allerdings in der Sportgeschichte ganz ohne den Beistand von Physikern ergeben. „Die Zahl ist aber perfekt“, zitiert Heuer die Analysen von Kollegen. „Mit sechs Spielern wäre ein Spiel bei gleicher Platzgröße so langsam, dass man Kaffeetrinken gehen könnte. Mit 15 Spielern herrschte nur noch Chaos.“
Heuer ist theoretischer Physiker, den am Fußball das Zusammenspiel von Systematik und Zufall fasziniert. „Es ist spannend, diese beiden Aspekte mit den Methoden der Statistik zu trennen“, sagt er. „Trotz des besseren Verständnisses sind einzelne Fußballspiele immer noch schwer vorherzusagen“, ergänzte er. Eine statistische Torchance sei eben noch kein Tor. Es kann auch ein Lattenschuss sein. „Genau das macht für mich den Reiz aus“, sagte Heuer.
Quelle: dpa/CL