10.01.2006 20:16

Mein Leben als Pfeife

Mein ganzes Schiedsrichterleben wartete ich vergeblich darauf, in Versuchung geführt zu werden. Wann immer ich jungforsch antrat, um auf württembergischen oder hohenlohischen Dorfplätzen für Gerechtigkeit zu sorgen, wollte sich partout kein Vereinsfunktionär in meine Kabine, die nicht selten ein alter Geräteschuppen war, schleichen und mir mit verschwörerischem Blick großartige Geschenke anbieten für den Fall einer wohlwollenden Spielleitung. Nein, Bestechlichkeit an der Pfeife ist keine Gefahr für den deutschen Fußball, auch nicht in den unteren Spielklassen, wo in der Regel nicht die Crème de la Crème der Gilde für Recht und Ordnung sorgt. Ob in Massenbachhausen, Winnenden, Gailenkirchen oder Markgröningen – wo ich auch damals dem merkwürdigen Hobby nachging, mich für eine minimale Aufwandsentschädigung als »Blindgänger«, »Arschloch« oder »Vollidiot« beschimpfen zu lassen, gab es keine aktiven Bestechungsversuche, geschweige denn zarte Avancen von Kartoffel- oder Weinköniginnen, die mir ein Schäferstündchen in Aussicht stellten.

Natürlich gibt es in der Kreis- oder Bezirksliga fanatische Funktionäre, deren Lebensinhalt aus Punktgewinnen und Aufstiegen besteht, und natürlich wissen diese, dass auch Schiedsrichter Menschen sind, die gerne freundlich behandelt werden. Schleimige Begeisterungsausrufe zur Begrüßung (»Schön, dass Sie endlich wieder bei uns pfeifen! Man hat ja nicht jeden Sonntag einen so guten Mann wie Sie«) sind an der Tagesordnung, und die Einladung zum Nachtessen im Dorfkrug (»Nach dem Spiel sitzen wir noch zusammen«) ist auch keine Seltenheit, soll sie doch den Unparteiischen gnädig stimmen und davor zurückschrecken lassen, in der letzten Spielminute einen Elfmeter gegen die Heimmannschaft zu pfeifen.

Gewogenheit herstellen, das allein ist das Ziel jener Vereinsmeier, die sich um die Unparteiischen kümmern. Wer jedoch zu viel des Guten tut, sorgt bei ernsthaften Schiedsrichtern eher für Verstimmung. Unvergessen ist mir jener Funktionär aus einem Stuttgarter Vorort, der vor jedem Spiel das Schiedsrichtergespann wie ein öliger Versicherungsvertreter umschmeichelte – eine Gunsterweisung, von der, je nach Matchverlauf, 90 Minuten später oft nichts mehr zu spüren war.

Gastgeschenke habe ich damals nicht bekommen. Froh war ich manchmal – in Scheppach etwa, als jener Mann mit dem Messer von einem Besuch in meiner Kabine Abstand nahm –, das Gelände heil verlassen zu dürfen und meinen Käfer ohne Platten vorzufinden. Diese unmittelbaren Gefahren drohen Bundesliga-Referees längst nicht mehr, und auch das Ausmaß der Präsente ist, seitdem der FC Nürnberg vor ein paar Jahren über die Stränge schlug, überschaubar geworden. Wer in Dortmund oder München pfeift, könnte allenfalls Haushalte mit Handtüchern, Feuerzeugen, Schlüsselanhängern oder Pyjamas ausstatten, die, mehr oder weniger ästhetisch gelungen, die Vereinsembleme tragen. Und jene gern kolportierten Geschichten von Fifa-Schiedsrichtern, die in osteuropäischen Ländern blonde Callgirls vor ihrem Hotelzimmer vorfanden, sind eher Branchenfolklore als Pfeifenalltag.

Robert Hoyzer galt als Schiedsrichterhoffnung. Sein Glauben, mit manipulierten Pfiffen dauerhaft den strengen Beobachtern des DFB zu entkommen, zeugt von erstaunlichem Realitätsverlust, und was er seiner Pfeife an Misstönen entlockte, stellt das Wesen seiner Zunft infrage. Schiedsrichter wird, wer an die Vision unbeeinflussbarer Gerechtigkeit glaubt. So wie ich damals beispielsweise in Wachbach (Main-Tauber-Kreis). Dort bekam ich übrigens nach Spielschluss ein Bierglas (0,3 Liter) mit Vereinsaufdruck geschenkt. Der SV Wachbach hatte 3:1 gewonnen.

Von den sanften Formen der Einflussnahme im Amateurfußball: Ein Artikel von Rainer Moritz in "Die Zeit" vom 27. Januar 2005. Der Autor leitet das Hamburger Literaturhaus und legte 1975 die Schiedsrichterprüfung ab. Acht Jahre lang amtierte er auf süddeutschen Bezirksligasportplätzen und brachte es bis zum Oberligalinienrichter. Er schrieb den Aufsatz »Die Pfeifen der Nation« in dem von Frank Goosen herausgegebenen Band »Fritz Walter, Kaiser Franz und wir« (Eichborn Verlag 2004).

 

FuPa.net

Fusball.de

Soccerwatch